28.08.2021 00:00
Schmallenberg

Gehen oder Bleiben?

Gehen oder Bleiben? Diese Frage stellen sich ganz viele Menschen in Afghanistan. „Wir wollen weg von hier! Hier haben wir keine Zukunft, besonders nicht die Frauen und Mädchen. Hier wird schon bald die erworbene Freiheit im Sinne der allgemeinen Menschenrechte mit Gewalt niedergetrampelt und ausgemerzt werden. Wir werden fliehen. Hier werden wir nicht bleiben.“

Wer versteht diese Menschen nicht? Sie haben denen vertraut, die im Namen der Freiheit und der Menschenrechte Afghanistan erobert haben. Bei weitem nicht allen wird die Flucht gelingen. Sie werden bleiben müssen. Und dann? Dieses Szenario möchte ich mir nicht ausmalen.

Gehen oder Bleiben? Diese Frage stellen sich auch viele der Flutopfer, deren Häuser niedergerissen wurden vom plötzlich auftretenden reißenden Strom. „Sollen wir unser Haus an derselben Stelle wieder aufbauen? Werden wir dort gefahrlos leben können? Wenn nicht, wo sollen wir hin? Wo bleiben wir?“

Gehen oder bleiben? Diese Frage beschäftigte die Juden in Deutschland nach 1933. Im Nachhinein konnten die erleichtert sein, die früh genug Europa verlassen konnten.

Hinterher weiß ich, ob die Entscheidung zu bleiben oder zu gehen richtig war im Sinne des Überlebens und Weiterlebens mit Freiheit, Solidarität und Selbstbestimmung.

Gehen oder Bleiben? Diese Frage kommt auf in Gemeinschaften, Beziehungen und Berufen. Für Gehen oder Bleiben gibt die Bibel ein Maß: Wo du lebst, solltest du Gott, den Mitmenschen und dich selber lieben können. Mit Gott ist der Gott gemeint, der sein Volk aus der Sklaverei des Pharao in ein neues Land der Freiheit geführt hat. Mit Mitmensch ist bei Jesus jeder Mensch gemeint, insbesondere die Entrechteten und Missbrauchten. Und die Selbstliebe? Was ist mit mir selber? Die Annahme meiner Lebenssituation ist wie die Kunst, eine Waage im Gleichgewicht zu halten, im Gleichgewicht der Liebe zu den Mitmenschen und zu mir selber. Ausgleichendes Gewicht sind z.B. Worte Jesu, die mich korrigieren, wenn ich zu viel auf mich schaue oder aber andere überfordere.

Ich bin dankbar in einem Land leben zu dürfen, in dem wir untereinander unsere Beziehungen und Verhältnisse mit Recht und Gesetz einer freiheitlichen Demokratie ausloten können. Das Gebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe können wir frei ausüben. So haben wir viele Möglichkeiten zu bleiben oder zu gehen. Was ist bei Ihnen dran? Gehen oder bleiben?

Vielleicht finden Sie ja Zeit, darüber nachzudenken. Ein gutes Wochenende und einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen.

Georg Schröder, Dechant im Dekanat Hochsauerland-Mitte